Hier dokumentieren wir das Interview mit Kardinal Joseph Ratzinger, Präfekt der vatikanischen
Glaubens-Kongregation, vom Montagabend, 28.2.05, im Wortlaut. Herr Kardinal, der Papst liegt im Krankenhaus, man sagt, er kann im Moment nicht
sprechen. Wie ist das theologisch zu verstehen: Muss ein Papst sprechen können, um
Papst sein zu können?
Ich würde sagen, normalerweise natürlich schon. Aber im Bogen eines langen päpstlichen
Dienens und Lebens kann auch eine Phase des Nicht-Sprechens durchaus ihren Sinn haben,
wenn der Papst auf andere Weise fähig ist, Entscheidungen bekannt zu geben und zu
kommunizieren, zu hören und zu antworten; es gibt ja dazu viele Möglichkeiten. Ich
glaube, wir haben gerade in diesen letzten Jahren gelernt, dass das Zeugnis eines
leidenden Papstes eine große Bedeutung hat, dass Leiden eine eigene Art der Verkündigung
ist. Ich habe durch viele Briefe und persönliche Zeugnisse gesehen, wie leidende Menschen
sich dadurch neu angenommen fühlen. Mir hat die Vereinigung der Parkinson-Kranken
geschrieben, dass sie dem Papst so danken, dass er gleichsam ihr Bild rehabilitiert,
indem er öffentlich den Mut hat, als solcher Leidender aufzutreten und dennoch mit
ganzem Einsatz zu wirken. Und er hat uns gerade auch in der Zeit seines Leidensweges
vieles geschenkt und Neues gesagt. Kurzum: Es ist ja ein Stück eines ganzen Weges.
Wir haben vom Papst sehr viele Worte geschenkt bekommen, eine große Botschaft. Eine
andere Botschaft ist, dass er nun in die Passion Jesu Christi miteintritt; und das
zeigt, wie Leiden fruchtbar ist als Mittragen mit dem Herrn, Mittragen mit den vielen
Leidenden dieser Welt, denen sichtbar wird: Leiden hat Sinn, Leiden kann etwas Positives
sein. Insofern, glaube ich, ist das, wenn man das Ganze seines Papstlebens und –wirkens
betrachtet, eine Botschaft, die gerade in dieser Welt sehr wichtig ist, in der man
das Leiden verstecken oder abschaffen will, das man eben nicht abschaffen kann. Was trägt ihn denn so, dass er sich – wie Sie sagen – sich selbst in diesem Leid
noch so zeigen kann?
Ich denke, wir haben gerade in seinem letzten Buch eine Antwort darauf gefunden, wo
er uns sagt, dass er im Zusammenhang mit dem Attentat einerseits und mit der Botschaft
von Faustina Kowalska über das göttliche Mitleid andererseits gelernt hat, dass im
Mitleiden Gottes das Leiden selbst einen neuen positiven Sinn gewonnen hat und eine
wesentliche Form ist, wie Gott uns erlöst, dem Bösen eine Grenze setzt. Er setzt dem
Bösen nicht Grenzen, indem er Gewalt dagegen setzt; er begrenzt es gerade durch sein
Mitleiden, indem er nun das Böse nicht selber tut, sondern den Menschen, die Welt
in seinem Leiden neu aufnimmt und annimmt. Diese innere Überzeugung, die in ihm gerade
seit dem Attentat gereift ist und für die ihm die Botschaft von Faustina Kowalska
über das göttliche Mitleiden ein theologischer Vorlauf gewesen war, ist sozusagen
die inwendige Schau, von der er dabei lebt und mit der er das im Gefolge des leidenden
Christus als Zeichen des Vertrauens auf das göttliche Mitleiden annimmt und den anderen
weitergibt. Ist dann seine Botschaft eine andere als früher? Bringt ihn dieses Leiden näher
an Jesus Christus, den Leidenden, während er vorher vielleicht mehr der Verkündiger
war?
Ich würde sagen, darüber sollten wir nicht urteilen, wann jemand näher an Jesus Christus
ist. Das ganze gehört zusammen: Christus hat, wie einer der italienischen Gründer
einer der Bewegungen gesagt hat, tagsüber gelehrt, nachtsüber gebetet und am Ende
seines Lebens gelitten, und alles zusammen bildet den Weg Jesu Christi, durch den
er uns das wahre Gesicht Gottes gezeigt hat. Er hat Anteil genommen in großem Umfang
an dem Auftrag des Verkündigens, er war immer ein betender Mensch, und er ist nun
in besonderer Weise ein Leidender Mensch. In allem zusammen tritt er auch immer tiefer
in die Gemeinschaft mit Christus ein.
(rv 1. 3. 05 lw)