2005-03-01 09:14:37

Dossier: Das Interview mit Kardinal Ratzinger


Hier dokumentieren wir das Interview mit Kardinal Joseph Ratzinger, Präfekt der vatikanischen Glaubens-Kongregation, vom Montagabend, 28.2.05, im Wortlaut.
Herr Kardinal, der Papst liegt im Krankenhaus, man sagt, er kann im Moment nicht sprechen. Wie ist das theologisch zu verstehen: Muss ein Papst sprechen können, um Papst sein zu können?
Ich würde sagen, normalerweise natürlich schon. Aber im Bogen eines langen päpstlichen Dienens und Lebens kann auch eine Phase des Nicht-Sprechens durchaus ihren Sinn haben, wenn der Papst auf andere Weise fähig ist, Entscheidungen bekannt zu geben und zu kommunizieren, zu hören und zu antworten; es gibt ja dazu viele Möglichkeiten. Ich glaube, wir haben gerade in diesen letzten Jahren gelernt, dass das Zeugnis eines leidenden Papstes eine große Bedeutung hat, dass Leiden eine eigene Art der Verkündigung ist. Ich habe durch viele Briefe und persönliche Zeugnisse gesehen, wie leidende Menschen sich dadurch neu angenommen fühlen. Mir hat die Vereinigung der Parkinson-Kranken geschrieben, dass sie dem Papst so danken, dass er gleichsam ihr Bild rehabilitiert, indem er öffentlich den Mut hat, als solcher Leidender aufzutreten und dennoch mit ganzem Einsatz zu wirken. Und er hat uns gerade auch in der Zeit seines Leidensweges vieles geschenkt und Neues gesagt. Kurzum: Es ist ja ein Stück eines ganzen Weges. Wir haben vom Papst sehr viele Worte geschenkt bekommen, eine große Botschaft. Eine andere Botschaft ist, dass er nun in die Passion Jesu Christi miteintritt; und das zeigt, wie Leiden fruchtbar ist als Mittragen mit dem Herrn, Mittragen mit den vielen Leidenden dieser Welt, denen sichtbar wird: Leiden hat Sinn, Leiden kann etwas Positives sein. Insofern, glaube ich, ist das, wenn man das Ganze seines Papstlebens und –wirkens betrachtet, eine Botschaft, die gerade in dieser Welt sehr wichtig ist, in der man das Leiden verstecken oder abschaffen will, das man eben nicht abschaffen kann.
Was trägt ihn denn so, dass er sich – wie Sie sagen – sich selbst in diesem Leid noch so zeigen kann?
Ich denke, wir haben gerade in seinem letzten Buch eine Antwort darauf gefunden, wo er uns sagt, dass er im Zusammenhang mit dem Attentat einerseits und mit der Botschaft von Faustina Kowalska über das göttliche Mitleid andererseits gelernt hat, dass im Mitleiden Gottes das Leiden selbst einen neuen positiven Sinn gewonnen hat und eine wesentliche Form ist, wie Gott uns erlöst, dem Bösen eine Grenze setzt. Er setzt dem Bösen nicht Grenzen, indem er Gewalt dagegen setzt; er begrenzt es gerade durch sein Mitleiden, indem er nun das Böse nicht selber tut, sondern den Menschen, die Welt in seinem Leiden neu aufnimmt und annimmt. Diese innere Überzeugung, die in ihm gerade seit dem Attentat gereift ist und für die ihm die Botschaft von Faustina Kowalska über das göttliche Mitleiden ein theologischer Vorlauf gewesen war, ist sozusagen die inwendige Schau, von der er dabei lebt und mit der er das im Gefolge des leidenden Christus als Zeichen des Vertrauens auf das göttliche Mitleiden annimmt und den anderen weitergibt.
Ist dann seine Botschaft eine andere als früher? Bringt ihn dieses Leiden näher an Jesus Christus, den Leidenden, während er vorher vielleicht mehr der Verkündiger war?
Ich würde sagen, darüber sollten wir nicht urteilen, wann jemand näher an Jesus Christus ist. Das ganze gehört zusammen: Christus hat, wie einer der italienischen Gründer einer der Bewegungen gesagt hat, tagsüber gelehrt, nachtsüber gebetet und am Ende seines Lebens gelitten, und alles zusammen bildet den Weg Jesu Christi, durch den er uns das wahre Gesicht Gottes gezeigt hat. Er hat Anteil genommen in großem Umfang an dem Auftrag des Verkündigens, er war immer ein betender Mensch, und er ist nun in besonderer Weise ein Leidender Mensch. In allem zusammen tritt er auch immer tiefer in die Gemeinschaft mit Christus ein.
(rv 1. 3. 05 lw)







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