Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, weist einen
Vorwurf des Islamrats zurück. Der Präsident des Verbandes hatte einen fehlenden Dialog
zwischen Islam und den deutschen Kirchen beklagt. Lehmann meinte dazu im Interview
mit uns: "Ich muß sagen, dass ich eigentlich außer einer Einladung zum Ende des Fastenmonats
und vielleicht mal einer Moschee-Einweihung in achtzehn Jahren noch nie wegen eines
Dialogs angegangen worden bin." Zum Sparkurs in deutschen Bistümern meinte der Kardinal,
er halte "die Finanzfrage zwar für dringlich, aber nicht für so dramatisch, wie es
manchmal dargestellt wird." Lehmann kritisierte die Entscheidung des letzten EU-Gipfels
in Brüssel, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Bei dem Gipfel "ist
offensichtlich sehr wenig von der Frage der Menschenrechte die Rede gewesen, schon
gar nicht von der Religionsfreiheit." Hier das Interview im vollen Wortlaut.
Frage:
2004 geht zu Ende - was waren aus Ihrer Sicht die wichtigen Ereignisse, kirchlich
und auch gesellschaftlich? "Gesellschaftlich waren es meines Erachtens die
Assoziierung von zehn weiteren Mitgliedern durch die EU, die Europawahlen kurz darauf
und die Frage eines Entwurfs einer Verfassung für Europa. Es ist vielleicht nicht
zufällig, dass man an erster Stelle bei den gesellschaftlichen Ereignissen gar nicht
so sehr an Ereignisse im Inland denkt, sondern daß Europa doch schon so bestimmend
und prägend ist, dass man an erster Stelle diese Ereignisse nennen muss."
Frage:
Und wie sieht es aus, wenn Sie auf die kirchlichen Ereignisse zurücksehen, in Deutschland
und in der Weltkirche? "Insgesamt habe ich den Eindruck, zumindest was Deutschland
betrifft, dass es ein verhältnismäßig ruhiges Jahr war, ohne herausragende Ereignisse.
Was wie ein roter Faden durch das ganze Jahr hindurchgeht, das ist die 1250-Jahrfeier
des Todes des heiligen Bonifatius mit vielen, vielen Wallfahrten in Fulda selbst,
aber auch mit einem großen wissenschaftlichen Kongreß in Mainz. Die Bischofskonferenz
hatte im Lauf des Jahres zuerst gar nicht so intensiv mit dem Bonifatiusjubiläum geplant,
sich dann aber doch auf eine Erneuerung des missionarischen Gedankens eingestellt;
Höhepunkt dafür war dann die Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz, wo mit
einem großen Dokument "Allen Völkern sein Heil" eine Erneuerung des Gedankens der
Weltmission versucht worden ist, nachdem seit 2000 im Sinne eines missionarischen
Neuaufbruchs in unserem Land schon einiges vorausgegangen war. Von da aus gesehen,
geht durch das ganze Jahr - auch in den Bistümern - hindurch, was die Pastoral betrifft,
schon der Versuch, da mehr zu unternehmen als früher. Es sind einzelne, kleine Schritte:
die Intensivierung der Erwachsenentaufe z. B., die so genannte City-Seelsorge in manchen
Großstädten.... Das ist, glaube ich, der kräftigste Akzent."
Frage: Ein
Thema, das die Bistümer im ganzen Land das ganze Jahr über beschäftigt hat und auch
weiter beschäftigen wird, sind die Finanzen. Wo stehen wir da? Doch offenbar vor riesigen
Umbrüchen, nicht wahr? "Ich selbst halte, von nahem besehen, die Finanzfrage
zwar für dringlich, aber nicht für so dramatisch, wie es manchmal dargestellt wird.
Es ist einfach mal notwendig, den Hintergrund zu sehen: Wir hatten von 1970 bis zum
Jahr 2000, also in dreißig Jahren, eine Steigerung der Kirchensteuer-Einnahmen um
410 Prozent. Dreißig Jahre sind natürlich eine Zeit, wo die Menschen sich sehr daran
gewöhnt haben, dass das so bleibt und auch so weitergeht. Der erfahrene Hausvater
wußte immer schon, dass es sieben fette und sieben magere Jahre gibt und dass man
eben nicht mit einer solchen Stetigkeit rechnen kann im Wirtschaftsleben. Ab 2000
ist es dann doch so, daß jährlich etwa 8 Prozent weniger Einnahmen da waren; die ersten
zwei Jahre konnte man das noch relativ leicht verkraften und meinte: Das erholt sich
wieder, denn Schwankungen gab es ja immer schon mal. Aber jetzt wird deutlich, dass
sich das in den nächsten Jahren doch eher auf eine Minderung einstellen wird, wobei
etwas verschärfend dazukam, dass die Bistümer in der Regel die Gewohnheit haben, in
einer etwas kritischeren Situation eigentlich keine Kredite aufnehmen und keine Schulden
machen auf spätere Zeiten. Das wäre im Augenblick auch nicht verantwortlich, weil
wir auch klar sehen müssen, dass wir das nicht mehr aufholen könnten. Es wird weniger
werden und nicht mehr! Es wird auch, was den demographischen Faktor betrifft, was
die Zunahme von Nichtgetauften betrifft, auf eine Minderung hinauslaufen, selbst wenn
die Zahl der Kirchenaustritte nicht zunimmt. Es wäre also unverantwortlich, wenn man
so handeln würde wie der Staat, der einfach dann Kredite aufnimmt. Das etwas schärfere
Bremsen, weil wir eben keine Kredite aufnehmen wollen, hat natürlich die Krise dann
etwas verschärft. Ich sehe jetzt mal ab von drei oder vier Diözesen, wo besondere
Bedingungen für die Krise bestanden - das sind Berlin, vielleicht Hamburg, dann Aachen
und Essen. Aber die anderen - wie man am Beispiel des Erzbistums Köln sieht - haben
also auch scharf auf die Bremse gedrückt."
Frage: Auf der einen Seite gehen
die Kirchensteuer-Einnahmen zurück,weil die Steuereinnahmen grundsätzlich sinken
und weil es viele Kirchenaustritte gibt; auf der anderen Seite wird die Arbeit der
Kirchen von der Politik und auch von vielen Menschen im Lande im Sozial- oder Bildungsbereich
sehr geschätzt. Muß man sich vielleicht vielleicht auf lange Sicht ein anderes Finanzierungssystem
überlegen, alternativ oder sogar als Ablösung zum Kirchensteuer-System? "Man
muß natürlich sehr nüchtern sehen, dass unsere Haushalte im Schnitt zu 60 oder 70,
manchmal sogar 80 Prozent rein von der Kirchensteuer herkommen. Das heißt also: das
durch irgendetwas anderes zu ersetzen, das kann eigentlich nur heißen: ergänzend.
Das irgendwo noch abzusichern. Es ist auch klar, dass es sehr kostspielig wäre, ein
eigenes Kirchensteuer-System, etwa wie die Österreicher das haben, zu errichten, während
wir heute dem Staat knapp 1,5 Prozent zahlen für das administrative Helfen beim Einholen
der Kirchensteuer. Jeder weiß aber, dass der Staat damit zu gut bezahlt ist, weil
die heutigen technischen Möglichkeiten das wesentlich erleichtern. Es wäre aber unverantwortlich,
beim selben System zu bleiben, aber ein anderes Verfahren zu wählen. Man darf nicht
vergessen, dass es eine reiche Spendentätigkeit gerade der deutschen Katholiken gibt.
Es wäre jedoch eine Katastrophe, wenn wir das nicht mehr in dem Sinne für die Dritte
Welt gebrauchen könnten, wie das de facto bei den großen Werken Misereor, Missio,
Adveniat, Renovabis und im Grunde auch bei der Caritas der Fall ist. Wir könnten auf
einem anderen Weg sicher damit rechnen, dass wir die wichtigsten Institutionen aufrecht
erhalten könnten - aber es müßte ungeheuer viel aufgegeben und zurückgefahren werden,
wenn es keine Kirchensteuer mehr gäbe. Es gibt natürlich ein paar strukturelle
Probleme bei der Kirchensteuer. Für mich ist ein wichtiges Problem, dass - was viele
gar nicht wissen - nur jeder dritte bis vierte Katholik Kirchensteuer bezahlt. Wenn
einer keine Einkommensteuer oder Lohnsteuer zahlt, weil er ein niedriges Gehalt hat
oder mehrere Kinder, dann zahlt er zu Recht auch keine Kirchensteuer. Aber damit geht
natürlich etwas Wesentliches verloren, nämlich: dass die Kirchensteuer eigentlich
ein Beitrag ist. Manchmal denke ich mir: Selbst ein kleiner Beitrag, selbst wenn es
nur fünf Euro wären - gerade auch bei Leuten, die katholische Einrichtungen sehr in
Anspruch nehmen - wäre schon nicht so von der Hand zu weisen."
Frage: In
der gesellschaftlichen Diskussion ist derzeit die Frage "Integration von Ausländern"
bestimmend. Der Vorsitzende des Islamsrates ist enttäuscht von den Kirchen, weil es
- wie er kürzlich in einem Interview sagte - Dialog nur auf unteren Ebenen, aber nicht
mit Bischof Huber oder Ihnen gebe. Was antworten Sie darauf? "Diese Kritik
richtet sich zum Teil auf Äußerungen von Bischof Huber und von mir, die überzogen
interpretiert worden sind. Es gibt ja vielleicht gar nicht so sehr in den Kirchen,
sondern innerhalb der Gesellschaft immer wieder so eine allgemeine Forderung nach
einem interreligiösen Dialog - das ist meist gar nicht konkretisiert, und da muß man
einfach sagen: In der Tat haben wir keinen gezielten, kontinuierlichen Dialog. Es
finden immer wieder mal Gespräche statt und Treffen, man ist höflich zueinander usw.,
aber von einem Dialog kann eigentlich nicht die Rede sein. Ich muß aber sagen,
dass ich eigentlich außer einer Einladung zum Ende des Fastenmonats und vielleicht
mal einer Moschee-Einweihung in achtzehn Jahren noch nie wegen eines Dialogs angegangen
worden bin. Das wäre auch nicht so einfach, weil die Zahl der Leute, die dafür in
Frage kommen und dafür auch die sprachlichen Voraussetzungen haben, auf beiden Seiten
nicht hoch ist. Wir - evangelische und katholische Kirche - haben immer gesagt:
Wir verteidigen selbstverständlich das Leben des normalen Muslim, der ja auch politisch
nicht indoktriniert werden möchte und der seinen Gottesdienst haben möchte. Wir würden
uns gelegentlich wünschen, dass auch mal die Distanzierung von islamistischen Strömungen
sowohl religiöser als auch politischer Art etwas deutlicher ausfällt in der Öffentlichkeit. Ein
wichtiges Stichwort für das Verhältnis Christentum-Islam heißt Reziprozität, also
Wechselseitigkeit. Ich kann immer nur das eine Beispiel wiederholen: Wenn man in Rom
eine große Moschee bauen darf, dann muß auch der Bau einer Kirche in einem muslimischen
Land möglich sein. Wir erleben gerade in der Türkei, wie schwierig das ist - in Antalya,
wo so viele Touristen sind den ganzen Sommer über."
Frage: Stichwort Türkei:
Wie stehen Sie zum möglichen EU-Beitritt?
"Da muß man nüchtern sehen, dass
die Sache jetzt wahrscheinlich für`s erste gelaufen ist. Das heißt: Wir stehen nicht
mehr vor der Frage: Beitritt oder nicht, sondern es ist die erste Frage, dass die
Beitritts-Verhandlungen wirklich ergebnisoffen geführt werden. Das heißt: Es steht
nicht von vornherein fest, dass es zu einem Beitritt kommt. Geprüft wird anhand der
Kopenhagener Kriterien, zu denen die Einhaltung der Menschenrechte gehört. Jetzt
fand ich`s etwas schade, dass da doch einige Dinge passiert sind, die das Ganze doch
etwas im unklaren lassen. Es wäre besser gewesen, man hätte vor dem Aufnehmen von
Beitrittsverhandlungen klipp und klar gesagt: Es gibt Dinge, die positiv erledigt
sein müssen, bevor die Frage von Beitrittsverhandlungen entschieden wird - also etwa
Religionsfreiheit. Beim EU-Gipfel in Brüssel ist offensichtlich sehr wenig von der
Frage der Menschenrechte die Rede gewesen, schon gar nicht von der Religionsfreiheit."
Frage:
Was werden 2005 die politisch bestimmenden Themen sein?
"Politisch auf
jeden Fall eine Konsolidierung in Europa. Es wird wahrscheinlich viel schwieriger
sein, diese zehn Staaten wirklich zu integrieren. Man muß auch weiterkommen in der
Frage einer künftigen Verfassung; ich bin da wesentlich skeptischer, weil ich noch
längst nicht sehe, dass da eine Einstimmigkeit erreicht werden könnte. Das wird ganz
schwierig sein. Bei uns in Deutschland wird es sicher die Verwirklichung der sozialreformerischen
Gesetze sein - die Reformen sind notwendig, aber wir brauchen eine große Sensibilität,
damit bestimmte Tendenzen nicht noch überhandnehmen. Nach den Armutsberichten werden
die Reichen reicher und die Armen ärmer - das läßt sich wohl nicht abstreiten, und
wenn das jetzt so weiterginge, dass sich die Schere noch mehr öffnet, dann müssen
wir auf diese Wunde immer wieder den Finger legen." (rv 31.12.04 sk)