2004-12-31 16:36:27

Dossier: Großes Interview mit Kardinal Lehmann


Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, weist einen Vorwurf des Islamrats zurück. Der Präsident des Verbandes hatte einen fehlenden Dialog zwischen Islam und den deutschen Kirchen beklagt. Lehmann meinte dazu im Interview mit uns: "Ich muß sagen, dass ich eigentlich außer einer Einladung zum Ende des Fastenmonats und vielleicht mal einer Moschee-Einweihung in achtzehn Jahren noch nie wegen eines Dialogs angegangen worden bin." Zum Sparkurs in deutschen Bistümern meinte der Kardinal, er halte "die Finanzfrage zwar für dringlich, aber nicht für so dramatisch, wie es manchmal dargestellt wird." Lehmann kritisierte die Entscheidung des letzten EU-Gipfels in Brüssel, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Bei dem Gipfel "ist offensichtlich sehr wenig von der Frage der Menschenrechte die Rede gewesen, schon gar nicht von der Religionsfreiheit."
Hier das Interview im vollen Wortlaut.

Frage: 2004 geht zu Ende - was waren aus Ihrer Sicht die wichtigen Ereignisse, kirchlich und auch gesellschaftlich?
"Gesellschaftlich waren es meines Erachtens die Assoziierung von zehn weiteren Mitgliedern durch die EU, die Europawahlen kurz darauf und die Frage eines Entwurfs einer Verfassung für Europa. Es ist vielleicht nicht zufällig, dass man an erster Stelle bei den gesellschaftlichen Ereignissen gar nicht so sehr an Ereignisse im Inland denkt, sondern daß Europa doch schon so bestimmend und prägend ist, dass man an erster Stelle diese Ereignisse nennen muss."

Frage: Und wie sieht es aus, wenn Sie auf die kirchlichen Ereignisse zurücksehen, in Deutschland und in der Weltkirche?
"Insgesamt habe ich den Eindruck, zumindest was Deutschland betrifft, dass es ein verhältnismäßig ruhiges Jahr war, ohne herausragende Ereignisse. Was wie ein roter Faden durch das ganze Jahr hindurchgeht, das ist die 1250-Jahrfeier des Todes des heiligen Bonifatius mit vielen, vielen Wallfahrten in Fulda selbst, aber auch mit einem großen wissenschaftlichen Kongreß in Mainz. Die Bischofskonferenz hatte im Lauf des Jahres zuerst gar nicht so intensiv mit dem Bonifatiusjubiläum geplant, sich dann aber doch auf eine Erneuerung des missionarischen Gedankens eingestellt; Höhepunkt dafür war dann die Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz, wo mit einem großen Dokument "Allen Völkern sein Heil" eine Erneuerung des Gedankens der Weltmission versucht worden ist, nachdem seit 2000 im Sinne eines missionarischen Neuaufbruchs in unserem Land schon einiges vorausgegangen war. Von da aus gesehen, geht durch das ganze Jahr - auch in den Bistümern - hindurch, was die Pastoral betrifft, schon der Versuch, da mehr zu unternehmen als früher. Es sind einzelne, kleine Schritte: die Intensivierung der Erwachsenentaufe z. B., die so genannte City-Seelsorge in manchen Großstädten.... Das ist, glaube ich, der kräftigste Akzent."

Frage: Ein Thema, das die Bistümer im ganzen Land das ganze Jahr über beschäftigt hat und auch weiter beschäftigen wird, sind die Finanzen. Wo stehen wir da? Doch offenbar vor riesigen Umbrüchen, nicht wahr?
"Ich selbst halte, von nahem besehen, die Finanzfrage zwar für dringlich, aber nicht für so dramatisch, wie es manchmal dargestellt wird. Es ist einfach mal notwendig, den Hintergrund zu sehen: Wir hatten von 1970 bis zum Jahr 2000, also in dreißig Jahren, eine Steigerung der Kirchensteuer-Einnahmen um 410 Prozent. Dreißig Jahre sind natürlich eine Zeit, wo die Menschen sich sehr daran gewöhnt haben, dass das so bleibt und auch so weitergeht. Der erfahrene Hausvater wußte immer schon, dass es sieben fette und sieben magere Jahre gibt und dass man eben nicht mit einer solchen Stetigkeit rechnen kann im Wirtschaftsleben. Ab 2000 ist es dann doch so, daß jährlich etwa 8 Prozent weniger Einnahmen da waren; die ersten zwei Jahre konnte man das noch relativ leicht verkraften und meinte: Das erholt sich wieder, denn Schwankungen gab es ja immer schon mal. Aber jetzt wird deutlich, dass sich das in den nächsten Jahren doch eher auf eine Minderung einstellen wird, wobei etwas verschärfend dazukam, dass die Bistümer in der Regel die Gewohnheit haben, in einer etwas kritischeren Situation eigentlich keine Kredite aufnehmen und keine Schulden machen auf spätere Zeiten. Das wäre im Augenblick auch nicht verantwortlich, weil wir auch klar sehen müssen, dass wir das nicht mehr aufholen könnten. Es wird weniger werden und nicht mehr! Es wird auch, was den demographischen Faktor betrifft, was die Zunahme von Nichtgetauften betrifft, auf eine Minderung hinauslaufen, selbst wenn die Zahl der Kirchenaustritte nicht zunimmt. Es wäre also unverantwortlich, wenn man so handeln würde wie der Staat, der einfach dann Kredite aufnimmt.
Das etwas schärfere Bremsen, weil wir eben keine Kredite aufnehmen wollen, hat natürlich die Krise dann etwas verschärft. Ich sehe jetzt mal ab von drei oder vier Diözesen, wo besondere Bedingungen für die Krise bestanden - das sind Berlin, vielleicht Hamburg, dann Aachen und Essen. Aber die anderen - wie man am Beispiel des Erzbistums Köln sieht - haben also auch scharf auf die Bremse gedrückt."

Frage: Auf der einen Seite gehen die Kirchensteuer-Einnahmen zurück,weil die Steuereinnahmen grundsätzlich sinken und weil es viele Kirchenaustritte gibt; auf der anderen Seite wird die Arbeit der Kirchen von der Politik und auch von vielen Menschen im Lande im Sozial- oder Bildungsbereich sehr geschätzt. Muß man sich vielleicht vielleicht auf lange Sicht ein anderes Finanzierungssystem überlegen, alternativ oder sogar als Ablösung zum Kirchensteuer-System?
"Man muß natürlich sehr nüchtern sehen, dass unsere Haushalte im Schnitt zu 60 oder 70, manchmal sogar 80 Prozent rein von der Kirchensteuer herkommen. Das heißt also: das durch irgendetwas anderes zu ersetzen, das kann eigentlich nur heißen: ergänzend. Das irgendwo noch abzusichern. Es ist auch klar, dass es sehr kostspielig wäre, ein eigenes Kirchensteuer-System, etwa wie die Österreicher das haben, zu errichten, während wir heute dem Staat knapp 1,5 Prozent zahlen für das administrative Helfen beim Einholen der Kirchensteuer. Jeder weiß aber, dass der Staat damit zu gut bezahlt ist, weil die heutigen technischen Möglichkeiten das wesentlich erleichtern. Es wäre aber unverantwortlich, beim selben System zu bleiben, aber ein anderes Verfahren zu wählen.
Man darf nicht vergessen, dass es eine reiche Spendentätigkeit gerade der deutschen Katholiken gibt. Es wäre jedoch eine Katastrophe, wenn wir das nicht mehr in dem Sinne für die Dritte Welt gebrauchen könnten, wie das de facto bei den großen Werken Misereor, Missio, Adveniat, Renovabis und im Grunde auch bei der Caritas der Fall ist. Wir könnten auf einem anderen Weg sicher damit rechnen, dass wir die wichtigsten Institutionen aufrecht erhalten könnten - aber es müßte ungeheuer viel aufgegeben und zurückgefahren werden, wenn es keine Kirchensteuer mehr gäbe.
Es gibt natürlich ein paar strukturelle Probleme bei der Kirchensteuer. Für mich ist ein wichtiges Problem, dass - was viele gar nicht wissen - nur jeder dritte bis vierte Katholik Kirchensteuer bezahlt. Wenn einer keine Einkommensteuer oder Lohnsteuer zahlt, weil er ein niedriges Gehalt hat oder mehrere Kinder, dann zahlt er zu Recht auch keine Kirchensteuer. Aber damit geht natürlich etwas Wesentliches verloren, nämlich: dass die Kirchensteuer eigentlich ein Beitrag ist. Manchmal denke ich mir: Selbst ein kleiner Beitrag, selbst wenn es nur fünf Euro wären - gerade auch bei Leuten, die katholische Einrichtungen sehr in Anspruch nehmen - wäre schon nicht so von der Hand zu weisen."

Frage: In der gesellschaftlichen Diskussion ist derzeit die Frage "Integration von Ausländern" bestimmend. Der Vorsitzende des Islamsrates ist enttäuscht von den Kirchen, weil es - wie er kürzlich in einem Interview sagte - Dialog nur auf unteren Ebenen, aber nicht mit Bischof Huber oder Ihnen gebe. Was antworten Sie darauf?
"Diese Kritik richtet sich zum Teil auf Äußerungen von Bischof Huber und von mir, die überzogen interpretiert worden sind. Es gibt ja vielleicht gar nicht so sehr in den Kirchen, sondern innerhalb der Gesellschaft immer wieder so eine allgemeine Forderung nach einem interreligiösen Dialog - das ist meist gar nicht konkretisiert, und da muß man einfach sagen: In der Tat haben wir keinen gezielten, kontinuierlichen Dialog. Es finden immer wieder mal Gespräche statt und Treffen, man ist höflich zueinander usw., aber von einem Dialog kann eigentlich nicht die Rede sein.
Ich muß aber sagen, dass ich eigentlich außer einer Einladung zum Ende des Fastenmonats und vielleicht mal einer Moschee-Einweihung in achtzehn Jahren noch nie wegen eines Dialogs angegangen worden bin. Das wäre auch nicht so einfach, weil die Zahl der Leute, die dafür in Frage kommen und dafür auch die sprachlichen Voraussetzungen haben, auf beiden Seiten nicht hoch ist.
Wir - evangelische und katholische Kirche - haben immer gesagt: Wir verteidigen selbstverständlich das Leben des normalen Muslim, der ja auch politisch nicht indoktriniert werden möchte und der seinen Gottesdienst haben möchte. Wir würden uns gelegentlich wünschen, dass auch mal die Distanzierung von islamistischen Strömungen sowohl religiöser als auch politischer Art etwas deutlicher ausfällt in der Öffentlichkeit.
Ein wichtiges Stichwort für das Verhältnis Christentum-Islam heißt Reziprozität, also Wechselseitigkeit. Ich kann immer nur das eine Beispiel wiederholen: Wenn man in Rom eine große Moschee bauen darf, dann muß auch der Bau einer Kirche in einem muslimischen Land möglich sein. Wir erleben gerade in der Türkei, wie schwierig das ist - in Antalya, wo so viele Touristen sind den ganzen Sommer über."

Frage: Stichwort Türkei: Wie stehen Sie zum möglichen EU-Beitritt?

"Da muß man nüchtern sehen, dass die Sache jetzt wahrscheinlich für`s erste gelaufen ist. Das heißt: Wir stehen nicht mehr vor der Frage: Beitritt oder nicht, sondern es ist die erste Frage, dass die Beitritts-Verhandlungen wirklich ergebnisoffen geführt werden. Das heißt: Es steht nicht von vornherein fest, dass es zu einem Beitritt kommt. Geprüft wird anhand der Kopenhagener Kriterien, zu denen die Einhaltung der Menschenrechte gehört.
Jetzt fand ich`s etwas schade, dass da doch einige Dinge passiert sind, die das Ganze doch etwas im unklaren lassen. Es wäre besser gewesen, man hätte vor dem Aufnehmen von Beitrittsverhandlungen klipp und klar gesagt: Es gibt Dinge, die positiv erledigt sein müssen, bevor die Frage von Beitrittsverhandlungen entschieden wird - also etwa Religionsfreiheit. Beim EU-Gipfel in Brüssel ist offensichtlich sehr wenig von der Frage der Menschenrechte die Rede gewesen, schon gar nicht von der Religionsfreiheit."

Frage: Was werden 2005 die politisch bestimmenden Themen sein?

"Politisch auf jeden Fall eine Konsolidierung in Europa. Es wird wahrscheinlich viel schwieriger sein, diese zehn Staaten wirklich zu integrieren. Man muß auch weiterkommen in der Frage einer künftigen Verfassung; ich bin da wesentlich skeptischer, weil ich noch längst nicht sehe, dass da eine Einstimmigkeit erreicht werden könnte. Das wird ganz schwierig sein.
Bei uns in Deutschland wird es sicher die Verwirklichung der sozialreformerischen Gesetze sein - die Reformen sind notwendig, aber wir brauchen eine große Sensibilität, damit bestimmte Tendenzen nicht noch überhandnehmen. Nach den Armutsberichten werden die Reichen reicher und die Armen ärmer - das läßt sich wohl nicht abstreiten, und wenn das jetzt so weiterginge, dass sich die Schere noch mehr öffnet, dann müssen wir auf diese Wunde immer wieder den Finger legen."
(rv 31.12.04 sk)







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