Vatikan: Papst-Botschaft zum Weltfrieden - der ganze Text
"Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!" Das
fordert der Papst in einer Botschaft zum Weltfriedenstag. In dem Text, den der Vatikan
heute veröffentlichte, spricht Johannes Paul von seiner "Bitterkeit" darüber, "dass
das Drama im Irak leider weiterhin andauert und alle in eine ungewisse und unsichere
Situation hineinführt". Er träumt von einer verantwortlichen "Weltbürgerschaft". Hier
ist der Volltext der Papstbotschaft:
"Lass dich nicht vom Bösen besiegen,
sondern besiege das Böse durch das Gute!"
1. Zu Beginn des neuen Jahres
richte ich mein Wort wieder an die Verantwortlichen der Nationen sowie an alle Männer
und Frauen guten Willens, die spüren, wie notwendig es ist, in der Welt dauerhaft
Frieden zu schaffen. Als Thema des Weltfriedenstages 2005 habe ich die Aufforderung
des heiligen Paulus im Römerbrief gewählt: »Laß dich nicht vom Bösen besiegen, sondern
besiege das Böse durch das Gute!« (12, 21). Das Böse besiegt man nicht durch das Böse:
Schlägt man diesen Weg ein, dann läßt man sich, anstatt das Böse zu besiegen, in Wirklichkeit
vom Bösen besiegen. Der große Apostel zeigt eine Perspektive auf, die eine Grundwahrheit
herausstellt: Der Friede ist das Ergebnis eines langen und harten Kampfes, der gewonnen
wird, wenn das Böse durch das Gute besiegt wird. Angesichts der dramatischen Schauplätze
von gewaltgeprägten Bruderkriegen, die in verschiedenen Teilen der Welt herrschen,
angesichts der daraus erwachsenden unaussprechlichen Leiden und Ungerechtigkeiten
besteht die einzig wahrhaft konstruktive Entscheidung darin, das Böse zu verabscheuen
und am Guten festzuhalten (vgl. Röm 12, 9), wie gleichfalls der heilige Paulus rät. Der
Friede ist ein Gut, das durch das Gute gefördert werden muß: Er ist ein Gut für die
einzelnen Menschen, für die Familien, für die Nationen der Erde und für die gesamte
Menschheit; er ist jedoch ein Gut, das durch Entscheidungen und Akte zum Guten gehütet
und gepflegt werden muß. Da begreift man die tiefe Wahrheit eines anderen paulinischen
Grundsatzes: »Vergeltet niemand Böses mit Bösem!« (Röm 12, 17). Der einzige Weg, um
aus dem Teufelskreis des Bösen durch das Böse herauszukommen, liegt in der Annahme
des Apostelwortes: »Laß dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch
das Gute!« (Röm 12, 21). Das Böse, das Gute und die Liebe 2. Von ihren Anfängen
an hat die Menschheit die tragische Erfahrung des Bösen gemacht und versucht, seine
Wurzeln zu erfassen und seine Ursachen zu erklären. Das Böse ist keine anonyme Macht,
die kraft deterministischer und unpersönlicher Mechanismen in der Welt am Werk ist.
Das Böse nimmt seinen Lauf über die menschliche Freiheit. Genau diese Eigenschaft,
die den Menschen von den anderen Lebewesen auf der Erde unterscheidet, steht im Mittelpunkt
des Dramas des Bösen und geht ständig mit ihm einher. Das Böse hat immer ein Gesicht
und einen Namen: das Gesicht und den Namen von Männern und Frauen, die es aus freien
Stücken wählen. Die Heilige Schrift lehrt, daß am Anfang der Geschichte Adam und Eva
sich gegen Gott auflehnten und Abel von seinem Bruder Kain erschlagen wurde (vgl.
Gen 3-4). Das waren die ersten Fehlentscheidungen, auf die im Laufe der Jahrhunderte
zahllose weitere folgten. Jede von ihnen hat eine wesentliche moralische Qualität,
die klare Verantwortlichkeiten seitens des Menschen mit sich bringt und die grundlegenden
Beziehungen des Menschen zu Gott, zu den anderen und zur Schöpfung einschließt. Wenn
man nach seinen tieferen Bestandteilen sucht, wird man feststellen, daß das Böse letztlich
bedeutet, sich tragischerweise der Notwendigkeit der Liebe zu entziehen.1Das
sittlich Gute hingegen erwächst aus der Liebe, zeigt sich als Liebe und richtet sich
an der Liebe aus. Dies ist in besonderer Weise dem Christen einsichtig, der weiß,
daß ihn die Teilhabe an dem einen mystischen Leib Christi in eine besondere Beziehung
nicht nur zum Herrn, sondern auch zu den Brüdern stellt. Die Logik der christlichen
Liebe, die im Evangelium den Herzschlag des sittlich Guten bestimmt, drängt, konsequent
zu Ende gedacht, sogar zur Feindesliebe: »Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen,
wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken« (Röm 12, 20). Die »Grammatik« des allgemeinen
Sittengesetzes 3. Wenn man den Blick auf die aktuelle Situation der Welt richtet,
muß man eine erschreckende Ausweitung vielfältiger gesellschaftlicher und politischer
Phänomene des Bösen feststellen: von der sozialen Unordnung bis zur Anarchie und zum
Krieg, von der Ungerechtigkeit bis zur Gewalt gegen den anderen und zu seiner Unterdrückung.
Um zwischen dem Aufruf zum Guten und den Lockungen des Bösen, die einander entgegenstehen,
den eigenen Weg zu finden, muß die Menschheitsfamilie das gemeinsame Erbe sittlicher
Werte, das sie von Gott selber als Geschenk empfangen hat, dringend beherzigen. Deshalb
richtet der heilige Paulus an alle, die entschlossen sind, das Böse durch das Gute
zu besiegen, die Aufforderung, die noble und uneigennützige Haltung der Hochherzigkeit
und des Friedens zu pflegen (vgl. Röm 12, 17- 21). Als ich vor zehn Jahren vor
der Vollversammlung der Vereinten Nationen von dem gemeinsamen Bemühen im Dienst des
Friedens sprach, habe ich auf die »Grammatik« des allgemeinen Sittengesetzes2Bezug
genommen, auf die die Kirche in ihren zahlreichen Stellungnahmen zu diesem Thema verweist.
Indem es gemeinsame Werte und Grundsätze vorgibt, verbindet dieses Gesetz die Menschen
selbst bei aller Verschiedenheit ihrer Kulturen miteinander und ist unabänderlich:
»In der Flut der Vorstellungen und der Sitten bleibt es bestehen und unterstützt ihren
Fortschritt ... Selbst wenn man es einschließlich seiner Grundsätze bestreitet, kann
man es weder zerstören noch aus dem Herzen des Menschen reißen. Es taucht im Leben
der einzelnen Menschen und der Gesellschaften immer wieder auf«.3 4.
Diese gemeinsame Grammatik des Sittengesetzes verpflichtet dazu, sich stets verantwortungsvoll
dafür einzusetzen, daß das Leben der Menschen und der Völker respektiert und gefördert
wird. In ihrem Licht müssen die Übel sozialer und politischer Art, von denen die Welt
geplagt wird, vor allem die von Gewaltausbrüchen verursachten, mit Nachdruck angeprangert
werden. Wie sollte man in diesem Zusammenhang nicht an den geliebten afrikanischen
Kon- tinent denken, auf dem Konflikte andauern, die bereits Millionen Opfer gefordert
haben und weiterhin fordern? Wie könnten wir die gefährliche Lage in Palästina, dem
Land Jesu, unerwähnt lassen, in dem es nicht gelingt, in Wahrheit und Gerechtigkeit
die Fäden der gegenseitigen Verständigung fest zu knüpfen, die von einem Konflikt
zerrissen wurden, der Tag für Tag durch Attentate und Racheakte auf besorgniserregende
Weise angeheizt wird? Und was ist zum tragischen Phänomen terroristischer Gewalt zu
sagen, welche die ganze Welt in eine Zukunft voll Angst und Schrekken zu treiben scheint?
Muß man schließlich nicht voller Bitterkeit feststellen, daß das Drama im Irak leider
weiterhin andauert und alle in eine ungewisse und unsichere Situation hineinführt? Um
das Gut des Friedens zu erlangen, muß vollen Bewußtseins festgehalten werden, daß
Gewalt ein inakzeptables Übel ist und niemals Probleme löst. »Gewalt ist eine Lüge,
denn sie verstößt gegen die Wahrheit unseres Glaubens, gegen die Wahrheit unserer
Menschlichkeit. Gewalt zerstört das, was sie zu verteidigen vorgibt: die Würde, das
Leben, die Freiheit der Menschen«.4Unerläßlich ist daher die Förderung
einer echten Erziehungsarbeit zur Schulung des Gewissens, die alle, vor allem die
jungen Generationen, zum Guten heranbilden soll, indem sie sie für den Weitblick eines
unverkürzten und solidarischen Humanismus öffnet, den die Kirche befürwortet und wünscht.
Auf dieser Grundlage ist es möglich, eine soziale, wirtschaftliche und politische
Ordnung ins Leben zu rufen, die der Würde, der Freiheit und den Grundrechten jedes
Menschen Rechnung trägt. Das Gut des Friedens und das Gemeinwohl 5. Um den Frieden
dadurch zu fördern, daß man das Böse durch das Gute besiegt, muß man ein besonderes
Augenmerk auf das Gemeinwohl5und seine soziale und politische Ausprägung
richten. Wenn man auf allen Ebenen das Gemeinwohl pflegt, fördert man in der Tat den
Frieden. Vermag etwa der Mensch sich selbst voll zu verwirklichen, indem er von seiner
sozialen Natur, das heißt von seinem Sein »mit« und »für« die anderen absieht? Das
Gemeinwohl betrifft ihn unmittelbar. Es betrifft unmittelbar sämtliche Ausdrucksformen
der menschlichen Soziabilität: die Familie, Gruppen und Vereine, Städte und Regionen,
Staaten, die Verbindungen der Völker und Nationen. Alle sind in irgendeiner Weise
am Einsatz für das Gemeinwohl beteiligt, am ständigen Bemühen um das Wohl des anderen,
so als ginge es um das eigene. Diese Verantwortung obliegt im besonderen den politischen
Autoritäten auf allen Ebenen ihrer Zuständigkeit. Denn sie haben den Auftrag, jene
Gesamtheit an sozialen Voraussetzungen zu schaffen, die dem Menschen die ganzheitliche
Entfaltung seiner Person erlauben und diese auch begünstigen.6 Das Gemeinwohl
verlangt daher die Achtung und Förderung der Person und ihrer Grundrechte sowie auch
die Achtung und Förderung der Rechte der Nationen in umfassender Hinsicht. Dazu sagt
das Zweite Vatikanische Konzil: »Aus der immer engeren und allmählich die ganze Welt
erfassenden gegenseitigen Abhängigkeit ergibt sich als Folge, daß das Gemeinwohl ...
heute mehr und mehr einen weltweiten Umfang annimmt und deshalb auch Rechte und Pflichten
in sich begreift, die die ganze Menschheit betreffen. Jede Gruppe muß den Bedürfnissen
und berechtigten Ansprüchen anderer Gruppen, ja dem Gemeinwohl der ganzen Menschheitsfamilie
Rechnung tragen«.7Das Wohl der ganzen Menschheit, gerade auch ihrer künftigen
Generationen, erfordert eine echte internationale Zusammenarbeit, zu der jedes Land
seinen Beitrag leisten muß.8 Ausgesprochen verkürzende Sichtweisen der
mensch- lichen Wirklichkeit wandeln jedoch das Gemeinwohl in einen bloßen sozioökonomischen
Wohlstand um, dem jede transzendente Ausrichtung fehlt, und höhlen damit den Existenzgrund
des Gemeinwohls zutiefst aus. Das Gemeinwohl hingegen besitzt auch eine transzendente
Dimension, weil Gott die letzte Zielbestimmung seiner Geschöpfe ist.9Die
Christen wissen zudem, daß Jesus Christus volle Klarheit über die Verwirklichung des
wahren Gemeinwohls der Menschheit geschaffen hat. Auf Christus läuft die Geschichte
zu und findet in ihm ihren Höhepunkt: dank ihm, durch ihn und im Hinblick auf ihn
kann jede menschliche Wirklichkeit zu ihrer vollen Erfüllung in Gott geführt werden. Das
Gut des Friedens und die Nutzung der Güter der Erde 6. Da das Gut des Friedens
eng mit der Entwicklung aller Völker verknüpft ist, bleibt es unerläßlich, den ethischen
Auflagen der Nutzung der Güter der Erde Rechnung zu tragen. Das Zweite Vatikanische
Konzil hat zu Recht in Erinnerung gerufen: »Gott hat die Erde mit allem, was sie enthält,
zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt; darum müssen diese geschaffenen Güter
in einem billigen Verhältnis allen zustatten kommen; dabei hat die Gerechtigkeit die
Führung, Hand in Hand geht mit ihr die Liebe«.10 Die Zugehörigkeit zur
Menschheitsfamilie verleiht jedem Menschen eine Art Weltbürgerschaft, die ihn zum
Träger von Rechten und Pflichten macht, da die Menschen durch eine gemeinsame Herkunft
und eine gemeinsame letzte Bestimmung verbunden sind. Schon die Empfängnis eines Kindes
genügt, damit es zum Träger von Rechten wird, Aufmerksamkeit und Pflege verdient und
daß jemand die Pflicht hat, sich darum zu kümmern. Die Verurteilung des Rassismus,
der Schutz von Minderheiten, die Hilfe für Flüchtlinge und Asylanten, das Mobilisieren
der internationalen Solidarität gegenüber allen Notleidenden sind nur konsequente
Anwendungen des Prinzips der Weltbürgerschaft. 7. Das Gut des Friedens muß heute
in engem Bezug zu den neuen Gütern gesehen werden, die aus der wissenschaftlichen
Erkenntnis und dem technologischen Fortschritt entstanden sind. Auch sie müssen in
Anwendung des Prinzips von der universalen Bestimmung der Güter der Erde in den Dienst
der vordringlichen Bedürfnisse des Menschen gestellt werden. Angemessene Initiativen
auf internationaler Ebene können das Prinzip von der universalen Bestimmung der Güter
dadurch voll umsetzen, daß sie für alle — einzelne und Nationen — die Grundvoraussetzungen
für eine Teilnahme an der Entwicklung sicherstellen. Das wird möglich, wenn die Barrieren
und Monopole durchbrochen werden, welche so viele Völker am Rande der Entwicklung
belassen.11 Das Gut des Friedens wird einen besseren Schutz genießen,
wenn sich die Völkergemeinschaft mit größerem Verantwortungsbewußtsein jener Güter
annimmt, die gemeinhin als öffentliche Güter gelten. Es sind jene Güter, die alle
Bürger automatisch in Anspruch nehmen, ohne diesbezüglich eigens eine Wahl getroffen
zu haben. Dazu gehört alles, was auf nationaler Ebene durch Güter wie zum Beispiel
das Rechtswesen, das Verteidigungssystem, das Straßen- oder Schienennetz geleistet
wird. In der heutigen Welt, die gänzlich vom Phänomen der Globalisierung überrollt
wird, gibt es in immer größerer Zahl öffentliche Güter, die globalen Charakter annehmen
und in der Folge auch von Tag zu Tag das gemeinsame Interesse an ihnen zunehmen lassen.
Man denke nur an den Kampf gegen die Armut, an die Suche nach Frieden und Sicherheit,
an die Besorgnis aufgrund des Klimawandels, an die Kontrolle der Ausbreitung von Krankheiten.
Diesen Interessen muß die internationale Gemeinschaft mit einem immer umfangreicheren
geeigneten Netz rechtlicher Vereinbarungen zur Regelung der Nutznießung der öffentlichen
Güter entsprechen, wobei sie sich von den universalen Grundsätzen der Gerechtigkeit
und der Solidarität inspirieren läßt. 8. Das Prinzip, demzufolge die Güter für
alle bestimmt sind, erlaubt es zudem, sich in richtiger Weise der Herausforderung
der Armut zu stellen. Dabei muß vor allem den Situationen des Elends Rechnung getragen
werden, in denen noch immer über eine Milliarde Menschen lebt. Die internationale
Gemeinschaft hat sich zu Beginn des neuen Jahrtausends als vorrangiges Ziel die Halbierung
der Zahl dieser Menschen bis zum Jahr 2015 gesetzt. Die Kirche unterstützt und ermutigt
dieses Engagement und fordert die an Christus Glaubenden dazu auf, ganz konkret und
in jedem Umfeld eine vorrangige Liebe für die Armen zu bekunden.12 Das
Drama der Armut erscheint noch immer eng verknüpft mit dem Problem der Auslandsverschuldung
der armen Länder. Trotz der bisher erreichten bedeutenden Fortschritte hat dieses
Problem noch keine angemessene Lösung gefunden. Fünfzehn Jahre sind vergangen, seitdem
ich die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung auf die Tatsache gelenkt habe, daß
die Auslandsverschuldung der armen Länder »eng mit einer Reihe anderer Probleme zusammenhängt,
wie den Auslandsinvestitionen, dem richtigen Funktionieren der größeren internationalen
Organisationen, den Rohstoffpreisen usw.«13Die in jüngster Zeit für den
Schuldenerlaß angelaufenen Mechanismen, die sich hauptsächlich auf die Bedürfnisse
der Armen konzentrieren, haben die Qualität des Wirtschaftswachstums zweifellos verbessert.
Quantitativ erweist sich dieses Wachstum besonders im Hinblick auf die Erreichung
der zu Beginn des Jahrtausends gesetzten Ziele allerdings aufgrund einer Reihe von
Faktoren als noch unzureichend. Die armen Länder bleiben in einem Teufelskreis gefangen:
Die niedrigen Einkünfte und das langsame Wachstum schränken die Vermögensbildung ein,
ihrerseits sind wiederum die schwachen Investitionen und die unwirksame Verwendung
des Ersparten dem Wachstum nicht förderlich. 9. Wie Papst Paul VI. sagte und ich
selbst bekräftigt habe, besteht das einzig wirksame Mittel, das den Staaten erlaubt,
das dramatische Problem der Armut anzugehen, in der Bereitstellung der notwendigen
Mittel an diese Länder, und zwar durch öffentliche und private Finanzierungen von
außen, die zu annehmbaren Bedingungen im Rahmen internationaler Handelsbeziehungen
gewährt werden, die auf Fairness beruhen.14Es bedarf dringend einer moralischen
und wirtschaftlichen Mobilisierung, die einerseits die zugunsten der armen Länder
getroffener Vereinbarungen respektiert, die andererseits aber bereit ist, jene Vereinbarungen
zu revidieren, die sich in der Praxis als zu große Belastung für gewisse Länder herausgestellt
haben. Aus dieser Sicht erscheint es wünschenswert und notwendig, neuen Schwung in
die Entwicklungshilfe der öffentlichen Hand zu bringen und ungeachtet der Schwierigkeiten,
die dieser Weg bereiten kann, die Vorschläge neuer Finanzierungsformen für die Entwicklung
zu untersuchen.15Einige Regierungen erwägen bereits sorgfältig vielversprechende
Maßnahmen, die in diese Richtung gehen, bedeutende Initiativen, die in wirklich teilhabender
Weise und unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips vorangebracht werden sollen.
Notwendig ist auch die Kontrolle darüber, daß die Handhabung der für die Ent- wicklung
der armen Länder bestimmten wirtschaftlichen und finanziellen Mittel sowohl von seiten
der Geber wie der Empfänger nach den strengen Kriterien einer guten Verwaltung erfolgt.
Die Kirche fördert diese Anstrengungen und bietet ihre Unterstützung an. Als Beispiel
möge die Erwähnung des wertvollen Beitrags genügen, der von den zahlreichen katholischen
Hilfs- und Entwicklungsorganisationen geleistet wird. 10. Am Ende des großen Jubiläums
des Jahres 2000 habe ich im Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte auf die
Dringlichkeit einer neuen Phantasie der Liebe hingewiesen,16um das Evangelium
der Hoffnung in der Welt zu verbreiten. Das wird besonders offenkundig, wenn man an
die vielen und heiklen Probleme herangeht, die der Entwicklung des afrikanischen Kontinents
im Wege stehen: Man denke an die unzähligen bewaffneten Konflikte, an die pandemischen
Krankheiten, deren Gefährlichkeit durch die elenden Lebensverhältnisse noch erhöht
wird, an die politische Instabilität, die mit der weit verbreiteten sozialen Unsicherheit
einhergeht. Das sind dramatische Wirklichkeiten, die auf einen radikal neuen Weg für
Afrika hindrängen: Es müssen neue Formen der Solidarität auf bilateraler und multilateraler
Ebene entstehen durch einen entschlosseneren Einsatz aller und im vollen Bewußtsein,
daß das Wohl der afrikanischen Völker eine unverzichtbare Voraussetzung für die Erreichung
des universalen Gemeinwohls darstellt. Mögen die afrikanischen Völker ihr Schicksal
und ihre kulturelle, zivile, soziale und wirtschaftliche Entwicklung als Protagonisten
selbst in die Hand nehmen können! Möge Afrika nicht länger bloß Objekt für Hilfeleistungen
sein, sondern zum verantwortungsvollen Subjekt eines überzeugten und produktiven Austausches
werden! Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es einer neuen politischen Kultur besonders
im Bereich der internationalen Zusammenarbeit. Noch einmal möchte ich betonen, daß
die unterbliebene Erfüllung wiederholter Versprechungen staatlicher Entwicklungshilfe
und das noch immer offene Problem der drückenden internationalen Verschuldung der
afrikanischen Länder und eine fehlende besondere Berücksichtigung dieser Länder in
den internationalen Handelsbeziehungen, große Hindernisse für den Frieden darstellen
und daher dringend angegangen und überwunden werden müssen. Das Bewußtsein der Interdependenz
zwischen den reichen und den armen Ländern, nach der »die Entwicklung entweder allen
Teilen der Welt gemeinsam zugute kommt oder einen Prozeß der Rezession auch in jenen
Gegenden erleidet, die bisher einen ständigen Fortschritt zu verzeichnen hatten«,17erweist
sich für die Verwirklichung des Friedens in der Welt vormals nie so ausschlaggebend
und entscheidend wie heute. Universalität des Bösen und christliche Hoffnung 11.
Angesichts der vielen Dramen, die die Welt heimsuchen, bekennen die Christen mit demütigem
Vertrauen, daß allein Gott dem Menschen und den Völkern die Überwindung des Bösen
ermöglicht, um das Gute zu erlangen. Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat uns
Christus erlöst und »um einen teuren Preis« erkauft (1 Kor 6, 20; 7, 23) und damit
das Heil für alle erwirkt. Mit seiner Hilfe ist es deshalb allen möglich, das Böse
durch das Gute zu besiegen. Gestützt auf die Gewißheit, daß das Böse nicht siegen
wird, hegt der Christ eine ungebrochene Hoffnung, die ihn in der Förderung der Gerechtigkeit
und des Friedens bestärkt. Trotz der persönlichen und sozialen Sünden, die das menschliche
Handeln kennzeichnen, verleiht die Hoffnung, verbunden mit einem festen Vertrauen
auf die Möglichkeit, eine bessere Welt zu bauen, dem Einsatz für Gerechtigkeit und
Frieden immer wieder neuen Schwung. Auch wenn die »geheime Macht der Gesetzwidrigkeiten«
(2 Thess 2, 7) in der Welt gegenwärtig und am Werk ist, darf nicht vergessen werden,
daß der erlöste Mensch genügend Kräfte besitzt, um ihr entgegenzuwirken. Nach dem
Ebenbild Gottes geschaffen und von Christus, »der sich gewissermaßen mit jedem Menschen
vereinigt hat«,18erlöst, kann er aktiv am Triumph des Guten mitwirken.
Das Wirken des Geistes des Herrn »erfüllt den Erdkreis« (Weish 1, 7). Die Christen,
besonders die gläubigen Laien, »sollen diese Hoffnung aber nicht im Inneren des Herzens
verbergen, sondern in ständiger Bekehrung und im Kampf ,,gegen die Weltherrscher dieser
Finsternis, gegen die Geister des Bösen’’ (Eph 6, 12) auch durch die Strukturen des
Weltlebens ausdrücken«.19 12. Kein Mann, keine Frau guten Willens kann
sich der Verpflichtung entziehen, für die Besiegung des Bösen durch das Gute zu kämpfen.
Es ist ein Kampf, den man nur mit den Waffen der Liebe wirksam kämpft. Wenn das Gute
das Böse besiegt, herrscht die Liebe, und wo die Liebe herrscht, herrscht Friede.
Dies ist die Lehre des Evangeliums, die das Zweite Vatikanische Konzil erneut vorgelegt
hat: »Das Grundgesetz der menschlichen Vervollkommnung und deshalb auch der Umwandlung
der Welt ist das neue Gebot der Liebe«.20 Das gilt auch im sozialen
und politischen Bereich. In diesem Zusammenhang schrieb Papst Leo XIII., daß alle,
denen die Pflicht obliegt, für das Gut des Friedens in den Beziehungen zwischen den
Völkern zu sorgen, »die Liebe, Herrin und Königin aller Tugenden«,21in
sich nähren und in den anderen entzünden müssen. Die Christen sollen von dieser Wahrheit
überzeugte Zeugen sein. Sie mögen verstehen, mit ihrem Leben zu beweisen, daß die
Liebe die einzige Kraft ist, die zur persönlichen und gesellschaftlichen Vollkommenheit
zu führen vermag; die einzige dynamische Kraft, die imstande ist, die Geschichte zum
Guten und zum Frieden voranschreiten zu lassen. In diesem Jahr, das der Eucharistie
gewidmet ist, mögen die Söhne und Töchter der Kirche im höchsten Sakrament der Liebe
die Quelle jeder wahren Gemeinschaft finden: der Gemeinschaft mit dem Erlöser Jesus
Christus und in ihm mit jedem Menschen. Kraft des Todes und der Auferstehung Christi,
die in jeder Eucharistiefeier sakramental gegenwärtig sind, werden wir von dem Bösen
erlöst und dazu befähigt, das Gute zu tun. Kraft des neuen Lebens, mit dem er uns
beschenkt hat, können wir uns jenseits aller Unterschiede in Sprache, Nationalität
und Kultur als Brüder erkennen. Mit einem Wort, kraft der Teilhabe an demselben Brot
und demselben Kelch dürfen wir uns als »Familie Gottes« begreifen und zugleich einen
besonderen und wirksamen Beitrag zum Aufbau einer Welt leisten, die auf die Werte
der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Friedens gegründet ist. Aus dem Vatikan,
am 8. Dezember 2004 Papst Johannes Paul II. 1In diesem Zusammenhang
sagt Augustinus: »Demnach wurden die zwei Staaten durch zweierlei Liebe begründet,
der irdische durch Selbstliebe, die sich bis zur Gottesverachtung steigert, der himmlische
durch Gottesliebe, die sich zur Selbstverachtung erhebt« (De Civitate Dei, XIV, 28). 2Vgl.
Ansprache vor den Vereinten Nationen zum 50jährigen Bestehen der Weltorganisation
in New York (5. Oktober 1995), 3: Insegnamenti XVIII/2 (1995), 732. 3Katechismus
der Katholischen Kirche, 1958. 4Johannes Paul II., Homilie in Drogheda,
Irland (29. September 1979), 9: AAS 71 (1979), 1081. 5In einer umfassenden
Bedeutung versteht man unter Gemeinwohl »die Gesamtheit jener Bedingungen des gesellschaftlichen
Lebens, die sowohl den Gruppen als auch deren einzelnen Gliedern ein volleres und
leichteres Erreichen der eigenen Vollendung ermöglichen«: Zweites Vatikanisches Konzil,
Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 26. 6Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika
Mater et Magistra: AAS 53 (1961), 417. 7Pastoralkonstitution Gaudium
et spes, 26. 8Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Mater et Magistra: AAS
53 (1961), 421. 9Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus,
41: AAS 83 (1991), 844. 10Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 69. 11Vgl.
Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 35: AAS 83 (1991), 837. 12Vgl.
Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 42: AAS 80 (1988), 572. 13Ansprache
an die Teilnehmer der Studienwoche der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften (27.
Oktober 1989), 6: Insegnamenti XII/2 (1989), 1050. 14Vgl. Paul VI.,
Enzyklika Populorum Progressio, 56-61: AAS 59 (1967), 285-287; Johannes Paul II.,
Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 33-34: AAS 80 (1988), 557-560. 15Vgl.
Johannes Paul II., Botschaft an den Präsidenten des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit
und Frieden: L'Osservatore Romano, 10. Juli 2004, S.5. 16Vgl. Nr. 50:
AAS 93 (2001), 303. 17Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis,
17: AAS 80 (1988), 532. 18Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution
Gaudium et spes, 22. 19Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution
Lumen gentium, 35. 20Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 38. 21Leo
XIII., Enzyklika Rerum novarum: Acta Leonis XIII 11 (1892), 143; vgl. Benedikt XV.,
Enzyklika Pacem Dei: AAS 12 (1920), 215.