Mit einer feierlichen Messe im Petersdom hat Papst Johannes Paul II. heute das Dogma
der Unbefleckten Empfängnis Mariens gefeiert. Der Lehrsatz war vor genau 150 Jahren
in St. Peter vom damaligen Papst Pius IX. definiert worden. In seiner Predigt zum
Jahrestag des Dogmas rühmte Johannes Paul Maria als Vorbild für alle Christen, weil
sie im entscheidenden Moment "Ja" zu Gottes Plänen gesagt habe. Wörtlich sagte er,
an Maria gewandt: "Sei du es, die den Frieden und das Heil für alle Völker erreicht." Heute
nachmittag wird der Papst, wie jedes Jahr am Fest der Unbefleckten Empfängnis, einen
Kranz an der Mariensäule in der römischen Innenstadt niederlegen.
Hier die
Papstpredigt von heute in vollem Wortlaut:
"1. „Gegrüßet seist du, Maria, voll
der Gnade, der Herr ist mit dir!“ Mit diesen Worten des Erzengels Gabriel wenden
wir uns mehrmals am Tag an die Jungfrau Maria. Wir wiederholen sie heute mit besonderer
Freude am Fest der Unbefleckten Empfängnis, indem wir an jenen 8. Dezember 1854 erinnern,
an dem der selige Pius IX. dieses wunderbare Dogma des katholischen Glaubens in eben
dieser vatikanischen Basilika verkündet hat. Ich grüße sehr herzlich alle, die
hier zusammen gekommen sind, besonders die Vertreter der Nationalen Mariologischen
Gesellschaften, die am Internationalen Mariologiekongress teilgenommen haben, den
die Päpstliche Marianische Akademie organisiert hat. Ich grüße außerdem Euch alle,
die Ihr anwesend seid, meine lieben Schwestern und Brüder, die ihr gekommen seid,
um der Unbefleckten Jungfrau die Ehre zu erweisen. In besonderer Weise grüße ich den
Herrn Kardinal Camillo Ruini, dem ich noch einmal meine Glückwünsche zu seinem Priesterjubiläum
ausdrücken möchte, wobei ich ihm auch meinen Dank für seinen Dienst ausdrücken möchte,
den mit großer Hingabe dargebracht hat und immer noch darbringt, als mein Stellvertreter
für die Diözese von Rom und als Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz.
2.
Wie groß ist das Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis, die die heutige Liturgie uns
vor Augen stellt! Ein Geheimnis, das nicht aufhört, die Betrachtung der Gläubigen
anzuziehen und die Überlegungen der Theologen inspiriert. Das Thema des Kongresses
hat eben daran erinnert: „Maria von Nazareth nimmt den Sohn Gottes in der Geschichte
auf“ – und er hat so eine Vertiefung der Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Marias,
die die Voraussetzung für die Aufnahme des fleischgewordenen Wortes Gottes, des Erlösers
der Menschheit in ihrem jungfräulichen Schoß war. „Voll der Gnade“, „kacapitwme,nh“:
Mit dieser Anrede wendet sich nach dem griechischen Originaltext des Lukasevangeliums
der Engel an Maria. Und das ist der Name, mit dem Gott durch seine Botschaft die Jungfrau
beschreiben wollte. So hat er sie schon immer gedacht und gesehen – ab aeterno.
3.
Im Hymnus des Epheserbriefes, der vor kurzem vorgelesen wurde, lobt der Apostel Gott
den Vater, weil er uns mit allem „Segen des Geistes im Himmel gesegnet hat, in Christus“.
Mit dieser besonderen Segnung hat sich Gott vom Anfang der Zeiten an an Maria gewandt.
Du bist wirklich gebenedeit, Maria, unter allen Frauen! Der Vater hat sie in Christus
vor der Erschaffung der Welt erwählt, damit sie heilig und unbefleckt in seinem Anblick
der Liebe sei, und er hat sie so als erste zur Sohnschaft durch das Werk Jesu Christi
bestimmt.
4. Die Bestimmung Marias ist wie die von einem jeden von uns auf
die Bestimmung des Sohns bezogen. Christus ist jener „Nachwuchs“, der die alte Schlange
„am Kopf trifft“, wie es das Buch Genesis beschreibt. Er ist das „makellose Lamm“,
geopfert, um die Welt von der Sünde freizukaufen. In Vorausschau auf seinen heilbringenden
Tod wurde Maria, seine Mutter, vor der Erbsünde und jeder anderen Sünde bewahrt. Zum
Sieg des neuen Adam gehört auch jener der neuen Eva, der Mutter der Erlösten. Die
Unbefleckte Jungfrau ist so ein Zeichen der Hoffnung für alle Lebenden, die das Böse
(satana) der das Blut des Lammes besiegt haben.
5. Wir wollen heute das demütige
Mädchen aus Nazareth betrachten, die heilig und unbefleckt im Angesicht Gottes in
der Liebe war, jener Liebe, die in seiner ursprünglichen Quelle der dreieine Gott
selbst ist. Welch tiefes Werk der heiligsten Dreifaltigkeit ist die Unbefleckte
Empfängnis der Mutter des Erlösers! Pius IX. hat in der Bulle „Inaeffabilis Deus“
daran erinnert, dass der Allmächtige „mit ein und demselben Tun den Ursprung Mariens
und der Menschwerdung der göttlichen Weisheit ausgezeichnet hat“. Das „Ja“ der
Jungfrau auf die Anrede des Engels gehört in das Konkrete unserer irdischen Bedingtheit,
in den demütigen Gehorsam dem göttlichen Willen gegenüber, die Menschheit nicht von
der Geschichte zu erlösen, sondern in der Geschichte. Tatsächlich hat die „neue Eva“,
die von jedem Makel der Sünde bewahrt wurde, in einzigartiger Weise das Werk Christi
unterstützt, des höchsten Mittlers und Erlösers. Als erste von ihrem Sohn erlöst,
nimmt sie in Fülle an seiner Heiligkeit teil, sie ist schon das, was die ganze Kirche
zu sein erhofft. Sie ist die eschatologische Ikone der Kirche.
6. Deshalb geht
die Unbefleckte Jungfrau, die „den Ursprung der Kirche, die makellose Braut Christi
von glänzender Schönheit“ darstellt, immer dem Volk Gottes in der Pilgerschaft des
Glaubens zum Himmelreich voraus. In der Unbefleckten Empfängnis Marias sieht die
Kirche, wie sich die heilbringende österliche Gnade in ihrem vornehmsten Glied vorzeichnet. Im
Ereignis der Menschwerdung trifft sie den Sohn und die Mutter untrennbar verbunden:
„Er, der ihr Herr und ihr Haupt ist, und sie, ihre Bedingung als Braut und Mutter
zeigt, indem sie das erste fiat des Neuen Bundes spricht“.
7. Dir gegenüber,
Unbefleckte Jungfrau, die du von Gott über jedes andere Geschöpf gestellt bist als
Anwältin der Gnade und Modell der Heiligkeit für sein Volk, Dir also vertraue ich
heute in besonderer Weise erneut die ganze Kirche an.
Du seiest es, die deine
Kinder auf der Pilgerschaft des Glaubens führt, indem du sie immer mehr treu und glaubend
dem Wort Gottes gegenüber machst.
Du seiest es, die jeden Christen auf dem
Weg der Umkehr und der Heiligkeit begleitet, im Kampf gegen die Sünde und in der Suche
der wahren Schönheit, die immer ein Abdruck und ein Widerschein der göttlichen Schönheit
ist.
Sei du es, die den Frieden und das Heil für alle Völker erreicht. Der
ewige Vater, der dich zur unbefleckten Mutter des Erlösers erwählt hat, erneuere auch
in unserer Zeit durch dich das Wunder seiner barmherzigen Liebe.