Dossier: Interview mit Kardinal Kasper zum Stand der Ökumene
- 40 Jahre Ökumene-Dekret des Konzils - was hat sich seitdem in der Ökumene verändert?
"Seit
dem Konzilsdokument hat sich vor allem das Klima, die Atmosphäre zwischen den Kirchen
doch grundlegend verändert. Natürlich nicht eine neue Kirche, eine neue Ekklesiologie,
aber das Verhältnis zueinander. Was früher völlig undenkbar war: Man betet miteinander,
man arbeitet zusammen, man betrachtet sich als Brüder und Schwestern und nicht mehr
als Feinde oder Konkurrenten, und ich denke das ist sehr wichtig. Wir haben seither
auch mit praktisch allen traditionellen Kirchen den Dialog aufgenommen, die das Anliegen
von „Unitatis Redintegratio“ wesentlich vertiefen und weitergeführt und bestätigt
haben, und ich denke, das ist sehr viel geworden. Vor allem Jüngere, die damals noch
nicht auf der Welt waren, können sich das heute gar nicht vorstellen, was sich seither
alles geändert hat, zum Guten, wie ich meine, und ich hoffe, dass wir auf diesem Weg
weitergehen können."
- Konzilsdokumente haben ja alle eine Geschichte. Was
hat sich durch Unitatis Redintegratio“ geändert?
"Seit dem Dokument hat sich
nicht geändert, dass wir eine neue Kirche, einen neuen Glauben haben - das ist derselbe.
Aber derselbe Glaube, den die Kirche schon immer hatte, ist wesentlich vertieft worden
aus dem Geist der Heiligen Schrift, aus dem Geist der Kirchenväter, und aus dem Geist
der spirituellen Erfahrung - nicht zuletzt der gemeinsamen Erfahrung in den Konzentrationslagern
im Krieg. Man hat gemerkt: Was uns verbindet, ist mehr, als was uns trennt, und so
ist eine gute Zusammenarbeit entstanden in praktisch allen Gemeinden, die wir vorher
nicht hatten. Ich finde das ist gut, denn wie sollen Christen anders für den Frieden
und für die Versöhnung in der Welt eintreten, wenn sie nicht untereinander im Frieden
und in versöhnter Weise zusammenleben."
- Was ist Ihr größter ökumenischer
Traum, und ist er realisierbar?
"Mein größter ökumenischer Traum ist die volle
Kirchengemeinschaft aller Christen – das wird sicher ein weiter und schwieriger Weg
sein, ich denke dass wir in absehbarer Zeit mit dem orthodoxen Christen, die uns sehr
nahe sind, erhebliche Schritte weiterkommen werden, auch mit einzelnen Gruppen evangelischer
Christen. Aber bis zu einer vollen Einheit aller Christen, wenn es überhaupt verwirklichbar
ist, ist es ein langer und weiter Weg, aber wir wissen, der Heilige Geist hat diesen
Prozess der Ökumene angestoßen, deshalb haben wir die Hoffnung trotz aller Schwierigkeit
auf unserer Seite."
- Würde Ökumene unter einem anderen Papst anders laufen?
Wie wichtig ist seine Persönlichkeit im Dialog der Kirchen?
"Die Bedeutung
des gegenwärtigen Papstes ist kaum zu überschätzen. Johannes Paul II. hat sehr viel
getan in seinem langen Pontifikat, und er unterstützt den ökumenischen Prozess in
jeder nur erdenklichen Weise. Ich denke, dass er einmal als ein großer ökumenisch
denkender Papst in die Geschichte eingehen wird. Und er hat Pflöcke eingeschlagen,
hinter die ein künftiger Papst nach meiner Ansicht nicht zurückgehen kann - er wird
auf der Grundlage, die jetzt erreicht worden ist, so denken und hoffen und beten wie
auch weiter arbeiten. Viele haben es einem polnischen Papst am Anfang nicht zugetraut,
dass er in der Ökumene so viel erreicht, wie dieser Papst getan hat, und wir sind
ihm gerade in diesen Tagen zu sehr großem Dank verpflichtet. "
Kasper ist Präsident
des päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Das Interview entstand
am Rand eines Kongresses in Rocca di Papa bei Rom. (rv 14.11.04)