2004-11-14 18:40:05

Dossier: Arafat


Unsere Berichterstattung über Tod und Beisetzung des Palästinenserführers, mit Reaktionen des Papstes, der Kardinäle Lehmann und Tucci sowie des Jerusalemer Patriarchen Michel Sabbah.

Kardinal Tucci: "Jetzt guten Nachfolger finden"

Yassir Arafat ist in Ramallah beigesetzt worden. Die Trauerfeier für den verstorbenen Palästinenserführer hatte heute morgen in Kairo stattgefunden. Dort leitete der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Michel Sabbah, die vatikanische Delegation.
Derweil äußert der frühere Außenminister des Vatikans die Befürchtung, dass man für Arafat keinen Nachfolger finden wird, "der gleichen Konsens erzielt". Das meinte Kardinal Achille Silvestrini im Gespräch mit einer italienischen Tageszeitung. Und Vatikan-Kardinal Roberto Tucci meint im Gespräch mit Radio Vatikan in ähnlicher Weise: "Jetzt gilt es, einen Führer mit einem gewissen Charisma zu finden, der von den Palästinensern als einigendes Element akzeptiert wird. Wenn uns das nicht gelingt, dann werden die beiden Parteien sich weiter bekämpfen, mit Terrorakten und militärischer Repression. Es ist bedauerlich, dass Sharon und Arafat nicht zu Verhandlungen untereinander in der Lage waren, denn Sharon steht für einen glaubwürdigen Rückzug aus Gaza, und Arafat schien auf der anderen Seite der einzige, der die Palästinenser womöglich dazu gebracht hätte, Dinge zu akzeptieren, die sie offenbar noch nicht akzeptieren können."
Die Patriarchen und Oberhäupter der christlichen Kirchen im Heiligen Land haben ihr Beileid zum Tod Arafats ausgesprochen. In einer gemeinsamen Erklärung hoffen sie heute zugleich auf Frieden und Ruhe für alle Bewohner der Region. Arafat sei ein Symbol für sein Volk im beharrlichen Bemühen um dessen Land und Freiheit gewesen.(rv/repubblica/kna 12.11.04 sk)
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Kardinal Lehmann: "Gemischte Gefühle für Nahost"

Nach dem Tod von Palästinenserpräsident Jassir Arafat blickt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann zwar mit Sorge, aber auch mit Hoffnung auf die Situation im Heiligen Land. Im Gespräch mit Radio Vatikan meinte er:"Arafat ist ja in gewisser Weise auch eine tragische Figur, weil er seinem Volk ja eine feste umschriebene Staatlichkeit vermitteln wollte. Auf der anderen Seite kann man bei aller Anerkennung seines Einsatzes für sein Volk auch nicht verkennen, dass er auch selber zu Mitteln der Gewalt gegriffen hat und auch bis zuletzt das Verhältnis zu den gewalttätigen Gruppen etwas zwielichtig offen ließ. Das ist schwer zu beurteilen, ob in dieser Zeit etwas anderes möglich gewesen wäre. Er hat vielleicht auch gelegentlich bei aller Anerkennung auch als Friedensnobelpreisträger Chancen verpasst, auf Kompromisse einzugehen."
Es sei bezeichnend, meint Kardinal Lehmann, dass die meisten Zeitungen heute zwei Überschriften hätten: Trauer um Arafat zum einen, aber auch Hoffnung auf einen Neuanfang im Heiligen Land:"Es könnte ja doch sein, dass man jetzt auch wieder ein Stück weit von vorne anfangen kann. Es ist auch erstaunlich, dass die bis jetzt sichtbar gewordenen Führer, das sind wahrscheinlich noch nicht die endgültigen, dass diese jedenfalls mit Augenmaß und einer bedächtigen Haltung bis jetzt diese Tage gestaltet haben. Insofern kann man durchaus Hoffnung haben. Vielleicht wird dann erst eingelöst, was Arafat immer erreichen wollte."

(rv 12.11.04 hr)
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Papst: Beileid zu Arafats Tod

In einem Telegramm hat Papst Johannes Paul II. der Familie von Palästinenserpräsident Arafat, dem palästinensischen Volk und den palästinensischen Autoritäten sein Beileid ausgesprochen. In dem von Kardinalstaatssekretär Sodano unterzeichneten Schreiben heißt es, der Papst empfehle Arafats Seele in die Hände des allmächtigen und barmherzigen Gottes und er bete zum Fürst des Friedens, dass der Stern der Eintracht bald über dem Heiligen Land scheine. Der Papst bete auch darum, dass die beiden Völker miteinander versöhnt in zwei Staaten leben mögen. Bereits heute morgen ließ das Vatikanische Presseamt verlauten, der Papst "schließt sich der Trauer des palästinensischen Volkes um seinen Präsidenten Yasser Arafat an". Er sei heute früh über den Tod Arafats informiert worden und habe sogleich für ihn, "für den Frieden im Heiligen Land, mit zwei unabhängigen und souveränen Staaten" gebetet. Arafat sei "ein Führer von großem Charisma gewesen, der sein Volk liebte und versuchte, es zur nationalen Unabhängigkeit zu führen.
(rv 11. 11. 04 lw)

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Patriarch Sabbah würdigt Arafat

Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Michel Sabbah, reist zu den Trauerfeierlichkeiten für Yassir Arafat nach Kairo. Sabbah wird dabei vom anglikanischen und vom lutherischen Bischof Jerusalems begleitet, meldet die italienische Nachrichtenagentur ansa. Palästinenserführer Yassir Arafat ist heute morgen in einem Krankenhaus bei Paris im Alter von 75 Jahren gestorben. Für uns würdigt ihn Patriarch Sabbah so: "Arafat war vierzig Jahre lang Präsident des palästinensischen Volkes - er hat einen Kampf für die Freiheit seines Volkes geführt. Über lange Zeit hinweg galt er als ein Terrorist; aber Papst Johannes Paul II. hat ihn empfangen, und durch diese Audienz hat er die Aufmerksamkeit der Welt auf Arafat gezogen - denn hinter diesem Mann, den man als Terroristen einstufte, stand eine gerechte Sache. Ein unterdrücktes Volk, das es zu retten, dem es seine Freiheit wiederzugeben gilt. Man muß jetzt sehen, dass Arafat ein umfassendes Konzept von Palästina hatte - von einem Palästina nicht nur für die Palästinenser oder für die Israelis, sondern für die Welt, wegen seiner vor allem christlichen Heiligen Stätten."
(rv 11.11.04 sk)

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Kommentar zum Sterben Arafats

Palästinenserführer Yassir Arafat liegt in einem Krankenhaus bei Paris im Sterben. Die palästinensische Führung hat sich mit Israel darauf geeinigt, dass er nach seinem Tod in Ramallah beigesetzt werden soll. Die Trauerfeier wird hingegen in Ägyptens Hauptstadt Kairo stattfinden. Zu Arafat ein Kurz-Kommentar von Pater Eberhard Gemmingen.
"Ist er schon tot? Doch noch nicht ganz? Hat er eine Hirnblutung? Das Gezerre und die Spekulationen um Arafats Gesundheitszustand in den Medien sind unwürdig und menschenverachtend. "Die wollen meinen Mann lebendig begraben", klagt Frau Arafat... So unrecht hat sie nicht. Alle haben Anspruch auf einen würdigen Tod, umgeben von Stille, von Respekt vor dem Geheimnis des Todes. Alle - auch Arafat."
(agenturen 10.11.04 sk)

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Jerusalem: "Leute reagieren passiv"

Palästinenser-Führer Arafat ringt weiter mit dem Tod. Erstmals hat das jetzt auch die palästinensische Seite offiziell bestätigt. Wie reagieren die Menschen im Heiligen Land auf diese Nachricht? Die Stimmung in Jerusalem ist erstaunlich ruhig, sagt Pfarrerin Petra Heldt, die Direktorin der Ökumenischen Theologischen Forschungsgemeinschaft in Israel. Heute etwa hätten sich zwar Tausende zum Ramadan auf dem Tempelberg versammelt, der Name Araft jedoch sei kaum gefallen. Und:

"Ich hab Leute gefragt: "Was denkt ihr denn dazu?" - in Bethelem zum Beispiel - Christen, mit denen wir sehr eng zusammen arbeiten. Und dann sagtwn sie ´Ja, ist der nicht jetzt irgendwo in London?´ Ich sagte ´Nein - der ist eigentlich in Paris.´ ´Ach ja´ sagten sie, ´vielleicht, aber er ist ja sowieso zu Ende.´ Also das heißt, von der Straße her ist das Gefühl ´So what´. Ich weiß, dass es innerhalb der Medien, auch innerhalb der Leute, die mit Arafat auf diploamtischer oder auf Medien-Ebene relativ viel zu tun hatten, oft ein anderes Bild, ein Bild der Traurigkeit gezeichnet wird. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das zwar lese, aber nicht wiederfinde auf der Straße."

Welche Auswirkungen wird der wohl unvermeidliche Tod Arafats auf den Friedensprozess in Nahost haben? Petra Heldt meint:

"Es kommt sehr darauf an, wer jetzt die Führung übernimmt und die Kraft hat und die Autorität bekommt, dies doch zu tun. Das palästinensische Volk und die verschiedenen Organisationenn waren so daran gewöhnt, die letzten 40 Jahre, jeden Befehl von Arafat zu bekommen, dass dieser Prozess kaum bisher eingeübt worden ist und so ist bisher auf israelischer Seite oder auf EU-Seite die große Frage: ´Mit wem sollen wir jetzt eigentlich reden?´ Das kann eine Chance sein - aber es kann auch weiter eine große Verzögerung sein.
(rv 05.11.04 hr)









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