Unsere Berichterstattung über Tod und Beisetzung des Palästinenserführers, mit Reaktionen
des Papstes, der Kardinäle Lehmann und Tucci sowie des Jerusalemer Patriarchen Michel
Sabbah.
Kardinal Tucci: "Jetzt guten Nachfolger finden"
Yassir
Arafat ist in Ramallah beigesetzt worden. Die Trauerfeier für den verstorbenen Palästinenserführer
hatte heute morgen in Kairo stattgefunden. Dort leitete der Lateinische Patriarch
von Jerusalem, Erzbischof Michel Sabbah, die vatikanische Delegation. Derweil äußert
der frühere Außenminister des Vatikans die Befürchtung, dass man für Arafat keinen
Nachfolger finden wird, "der gleichen Konsens erzielt". Das meinte Kardinal Achille
Silvestrini im Gespräch mit einer italienischen Tageszeitung. Und Vatikan-Kardinal
Roberto Tucci meint im Gespräch mit Radio Vatikan in ähnlicher Weise: "Jetzt gilt
es, einen Führer mit einem gewissen Charisma zu finden, der von den Palästinensern
als einigendes Element akzeptiert wird. Wenn uns das nicht gelingt, dann werden die
beiden Parteien sich weiter bekämpfen, mit Terrorakten und militärischer Repression.
Es ist bedauerlich, dass Sharon und Arafat nicht zu Verhandlungen untereinander in
der Lage waren, denn Sharon steht für einen glaubwürdigen Rückzug aus Gaza, und Arafat
schien auf der anderen Seite der einzige, der die Palästinenser womöglich dazu gebracht
hätte, Dinge zu akzeptieren, die sie offenbar noch nicht akzeptieren können." Die
Patriarchen und Oberhäupter der christlichen Kirchen im Heiligen Land haben ihr Beileid
zum Tod Arafats ausgesprochen. In einer gemeinsamen Erklärung hoffen sie heute zugleich
auf Frieden und Ruhe für alle Bewohner der Region. Arafat sei ein Symbol für sein
Volk im beharrlichen Bemühen um dessen Land und Freiheit gewesen.(rv/repubblica/kna
12.11.04 sk) _______________________________________________________ Kardinal
Lehmann: "Gemischte Gefühle für Nahost"
Nach dem Tod von Palästinenserpräsident
Jassir Arafat blickt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl
Lehmann zwar mit Sorge, aber auch mit Hoffnung auf die Situation im Heiligen Land.
Im Gespräch mit Radio Vatikan meinte er:"Arafat ist ja in gewisser Weise auch eine
tragische Figur, weil er seinem Volk ja eine feste umschriebene Staatlichkeit vermitteln
wollte. Auf der anderen Seite kann man bei aller Anerkennung seines Einsatzes für
sein Volk auch nicht verkennen, dass er auch selber zu Mitteln der Gewalt gegriffen
hat und auch bis zuletzt das Verhältnis zu den gewalttätigen Gruppen etwas zwielichtig
offen ließ. Das ist schwer zu beurteilen, ob in dieser Zeit etwas anderes möglich
gewesen wäre. Er hat vielleicht auch gelegentlich bei aller Anerkennung auch als Friedensnobelpreisträger
Chancen verpasst, auf Kompromisse einzugehen." Es sei bezeichnend, meint Kardinal
Lehmann, dass die meisten Zeitungen heute zwei Überschriften hätten: Trauer um Arafat
zum einen, aber auch Hoffnung auf einen Neuanfang im Heiligen Land:"Es könnte ja doch
sein, dass man jetzt auch wieder ein Stück weit von vorne anfangen kann. Es ist auch
erstaunlich, dass die bis jetzt sichtbar gewordenen Führer, das sind wahrscheinlich
noch nicht die endgültigen, dass diese jedenfalls mit Augenmaß und einer bedächtigen
Haltung bis jetzt diese Tage gestaltet haben. Insofern kann man durchaus Hoffnung
haben. Vielleicht wird dann erst eingelöst, was Arafat immer erreichen wollte."
In einem Telegramm hat Papst Johannes Paul II. der Familie
von Palästinenserpräsident Arafat, dem palästinensischen Volk und den palästinensischen
Autoritäten sein Beileid ausgesprochen. In dem von Kardinalstaatssekretär Sodano unterzeichneten
Schreiben heißt es, der Papst empfehle Arafats Seele in die Hände des allmächtigen
und barmherzigen Gottes und er bete zum Fürst des Friedens, dass der Stern der Eintracht
bald über dem Heiligen Land scheine. Der Papst bete auch darum, dass die beiden Völker
miteinander versöhnt in zwei Staaten leben mögen. Bereits heute morgen ließ das Vatikanische
Presseamt verlauten, der Papst "schließt sich der Trauer des palästinensischen Volkes
um seinen Präsidenten Yasser Arafat an". Er sei heute früh über den Tod Arafats informiert
worden und habe sogleich für ihn, "für den Frieden im Heiligen Land, mit zwei unabhängigen
und souveränen Staaten" gebetet. Arafat sei "ein Führer von großem Charisma gewesen,
der sein Volk liebte und versuchte, es zur nationalen Unabhängigkeit zu führen. (rv
11. 11. 04 lw)
Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof
Michel Sabbah, reist zu den Trauerfeierlichkeiten für Yassir Arafat nach Kairo. Sabbah
wird dabei vom anglikanischen und vom lutherischen Bischof Jerusalems begleitet, meldet
die italienische Nachrichtenagentur ansa. Palästinenserführer Yassir Arafat ist heute
morgen in einem Krankenhaus bei Paris im Alter von 75 Jahren gestorben. Für uns würdigt
ihn Patriarch Sabbah so: "Arafat war vierzig Jahre lang Präsident des palästinensischen
Volkes - er hat einen Kampf für die Freiheit seines Volkes geführt. Über lange Zeit
hinweg galt er als ein Terrorist; aber Papst Johannes Paul II. hat ihn empfangen,
und durch diese Audienz hat er die Aufmerksamkeit der Welt auf Arafat gezogen - denn
hinter diesem Mann, den man als Terroristen einstufte, stand eine gerechte Sache.
Ein unterdrücktes Volk, das es zu retten, dem es seine Freiheit wiederzugeben gilt.
Man muß jetzt sehen, dass Arafat ein umfassendes Konzept von Palästina hatte - von
einem Palästina nicht nur für die Palästinenser oder für die Israelis, sondern für
die Welt, wegen seiner vor allem christlichen Heiligen Stätten." (rv 11.11.04 sk)
Palästinenserführer Yassir Arafat liegt in einem Krankenhaus
bei Paris im Sterben. Die palästinensische Führung hat sich mit Israel darauf geeinigt,
dass er nach seinem Tod in Ramallah beigesetzt werden soll. Die Trauerfeier wird hingegen
in Ägyptens Hauptstadt Kairo stattfinden. Zu Arafat ein Kurz-Kommentar von Pater Eberhard
Gemmingen. "Ist er schon tot? Doch noch nicht ganz? Hat er eine Hirnblutung? Das
Gezerre und die Spekulationen um Arafats Gesundheitszustand in den Medien sind unwürdig
und menschenverachtend. "Die wollen meinen Mann lebendig begraben", klagt Frau Arafat...
So unrecht hat sie nicht. Alle haben Anspruch auf einen würdigen Tod, umgeben von
Stille, von Respekt vor dem Geheimnis des Todes. Alle - auch Arafat." (agenturen
10.11.04 sk)
Palästinenser-Führer Arafat ringt weiter mit dem
Tod. Erstmals hat das jetzt auch die palästinensische Seite offiziell bestätigt. Wie
reagieren die Menschen im Heiligen Land auf diese Nachricht? Die Stimmung in Jerusalem
ist erstaunlich ruhig, sagt Pfarrerin Petra Heldt, die Direktorin der Ökumenischen
Theologischen Forschungsgemeinschaft in Israel. Heute etwa hätten sich zwar Tausende
zum Ramadan auf dem Tempelberg versammelt, der Name Araft jedoch sei kaum gefallen.
Und:
"Ich hab Leute gefragt: "Was denkt ihr denn dazu?" - in Bethelem zum
Beispiel - Christen, mit denen wir sehr eng zusammen arbeiten. Und dann sagtwn sie
´Ja, ist der nicht jetzt irgendwo in London?´ Ich sagte ´Nein - der ist eigentlich
in Paris.´ ´Ach ja´ sagten sie, ´vielleicht, aber er ist ja sowieso zu Ende.´ Also
das heißt, von der Straße her ist das Gefühl ´So what´. Ich weiß, dass es innerhalb
der Medien, auch innerhalb der Leute, die mit Arafat auf diploamtischer oder auf Medien-Ebene
relativ viel zu tun hatten, oft ein anderes Bild, ein Bild der Traurigkeit gezeichnet
wird. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das zwar lese, aber nicht wiederfinde auf der
Straße."
Welche Auswirkungen wird der wohl unvermeidliche Tod Arafats auf
den Friedensprozess in Nahost haben? Petra Heldt meint:
"Es kommt sehr darauf
an, wer jetzt die Führung übernimmt und die Kraft hat und die Autorität bekommt, dies
doch zu tun. Das palästinensische Volk und die verschiedenen Organisationenn waren
so daran gewöhnt, die letzten 40 Jahre, jeden Befehl von Arafat zu bekommen, dass
dieser Prozess kaum bisher eingeübt worden ist und so ist bisher auf israelischer
Seite oder auf EU-Seite die große Frage: ´Mit wem sollen wir jetzt eigentlich reden?´
Das kann eine Chance sein - aber es kann auch weiter eine große Verzögerung sein. (rv
05.11.04 hr)